Corona-Ballade von Natascha Würzbach

Foto: Monika Mengel
Corona Ballade
 
Manche horten Klopapier
andere trauern um Verstorbene
ohne Abschied.
Vermummte eilen durch die Straßen
Autos haben Pause
und leere Bahnen geistern durch die Stadt.
Unermüdlich scheint die Sonne
und die Vögel zwitschern
als sei nichts geschehen.
 
Ich senke meinen Blick
auf leuchtend gelbe Blumen
wie zum Gebet.
 
Die aktuellen Fallzahlen
sind eine Woche alt.
Die Sportnachrichten darben
und Talk Shows
haben Hochkonjunktur.
Experten forschen und berichten
pausenlos
und die Politiker mühen sich
um Gegenwart und Zukunft.
Der Wecker schweigt
die Sanduhr rinnt.
 
Ich halte digital Kontakt
mit meinen Freundinnen und Freunden
ohne Händedruck und Umarmung
und bleibe auf Distanz
auf der Straße und im Park.
Es ist viel Raum um mich
den es zu füllen gilt
mit Denken und mit Fühlen
und manchmal ist mir kalt.
 
Doch dann erscheint die Mail
mit guter Nachricht
von fernen Freunden.
In langen Telefongesprächen
mit einem lieben Menschen
ist unvermittelt Nähe da.
Und aus den Fenstern schallt es:
„Freude schöner Götterfunken“
 
Der Sonntag vergeht
unbemerkt.
Ein Tag gleicht dem anderen.
Die Kassiererin sitzt hinter Glas
und auf dem Einkaufswagen
fährt das Virus mit.
Hinter Schaufenstern
dösen Hüte und Parfums
im Unverkäuflichen.
Die Kauflust gilt den Nudeln
und Konservendosen.
Mangelware
sind allein
Atemmasken jeglicher Couleur. 
 
Meine Nachbarn
sind mir näher als in guten Tagen
bieten Einkaufshilfen an
legen ein Stück Kuchen vor die Tür.
Unbekannte Menschen
schenken mir ein Lächeln
im Vorübergehen.
 
Geburtstage fallen aus
und an Ostern suchen wir vergeblich
nach Erfüllung unserer Wünsche.
Nur nicht erkranken!
Das Spital kann zur Todesfalle werden
und frische Luft allein
heilt nicht.
 
Bewegung hält gesund
draußen, drinnen
und in tiefsten Innern
wo das Ich Gestalt annimmt.
Mit geschärften Sinnen
sehe ich die Schönheit
des noch kaum begrünten Baumes
und der ersten Veilchen.
Im Ausnahmezustand
sucht man nach den Nischen
des Normalen.
Kochen, Waschen, Bügeln
bieten Halt.
Schuhe zweimal putzen
Deckchen häkeln
Kopfstand machen
eventuell auch Nasebohren
stündlich Hände waschen
und was noch?
 
Das mediale Trommelfeuer
all der Schreckensbilder
und Verlustberichte
ist begrenzt nur zu ertragen.
Der Rückzug
vor dem ganzen Menschheitselend
wird überlebenswichtig.
 
In meinem häuslichen Kokon
von Lesen, Schreiben,
Betrachten meiner Sukkulenten
und gewohnter Bilder an der Wand
bei vertrauten Melodien
und durch virtuelle Reisen
wachsen meine Flügel. 
Ein Noch-Nicht-Lebewesen
ausgestattet nur
mit der Kraft des Parasiten
beherrscht den Globus
und hält dem höchsten Lebewesen
den Spiegel vor.
 
Co. Natascha Würzbach